Outsourcing von IT-Dienstleistungen nach Indien
Akzeptanz von Offshoring wird sich in Europa weiter verbreiten
Zu Beginn des Jahres 2013 können die indischen IT-Dienstleister recht zufrieden auf 2012 zurückblicken
(06.03.13) - Fünf Jahre nachdem die indischen IT-Anbieter begonnen haben, sich ernsthaft auf den europäischen Markt zu konzentrieren, tragen ihre Bemühungen erste Früchte – trotz und zum Teil auch wegen der weltweiten Wirtschaftskrise. Laut Analyse des führenden Marktanalyse- und Beratungsunternehmens Pierre Audoin Consultants (PAC), liegt allerdings noch ein weiter Weg vor ihnen. Mit Hilfe von Übernahmen und Akquisitionen versuchen sich die Anbieter in den europäischen Kernmärkten Deutschland, Frankreich und Großbritannien zu etablieren.
Zu Beginn des Jahres 2013 können die indischen IT-Dienstleister recht zufrieden auf 2012 zurückblicken, zumindest was die Märkte in Europa angeht. Der Marktführer Tata Consultancy Services verzeichnete ein sehr starkes drittes und viertes Quartal 2012. Selbst Infosys, das in der Vergangenheit unterdurchschnittliche Ergebnisse erzielte, überraschte die Analysten im Dezember mit einer guten Performance. HCL Technologies konnte unerwartet positive Ergebnisse für das volle Jahr 2012 verkünden, wodurch das Unternehmen zum ernsthaften Konkurrenten für Infosys und Wipro wird, die momentan auf den Plätzen drei und vier unter den indischen Akteuren rangieren, hinter TCS und Cognizant Technologies.
"Für alle Anbieter war Europa einer der Schlüsselmärkte für ihren Unternehmenserfolg, und entgegen der Prognose von 2011 führte die Wirtschaftskrise in der Eurozone zu keinem Geschäftseinbruch bei den indischen Anbietern. Vielmehr erwies sie sich als positiver Faktor. Selbst in Märkten wie Deutschland oder Frankreich, die beim Thema Offshoring traditionell eher zurückhaltend sind, deutet sich eine offenere Haltung gegenüber dem Outsourcing von IT-Dienstleistungen nach Indien an, um dadurch angesichts der zunehmend volatilen Märkte in der Eurozone und darüber hinaus die Kosten zu kontrollieren und mehr Flexibilität zu gewinnen", so Christine Nayagam, Senior Consultant bei PAC mit Schwerpunkt indische IT-Strategie.
Insbesondere in den DACH-Ländern (Deutschland, Österreich, Schweiz) waren die indischen IT-Dienstleister in letzter Zeit sehr aktiv. Den Anfang machte Infosys, der drittgrößte Anbieter, mit der Übernahme der in Zürich ansässigen Firma Lodestone für 350 Millionen Euro. Lodestone bringt mehr als 200 zusätzliche Kunden aus Branchen wie Fertigung, Automobilindustrie und Life Sciences in Infosys’ Stamm von über 700 Kunden weltweit ein. Nach der Übernahme wird der konsolidierte Consulting-Bereich mit Schwerpunkt SAP-Anwendungen einen Umsatz von mehr als einer Milliarde US-Dollar erzielen, wodurch sich Infosys einen festen Platz unter den weltweiten Marktführern bei SAP-Consulting sichert. Im Dezember 2012 gab darüber hinaus Cognizant, die Nummer zwei im Markt, die Übernahme von sechs IT-Beratungs- und Dienstleistungsfirmen bekannt, die bisher Teil der in Hamburg ansässigen C1 Group waren und deren Schwerpunkte Fertigung und Logistik, Energie und Versorgung, sowie Finanzdienstleistungen sind. Dieser Kauf festigt die Position von Cognizant in Europa und verschafft dem Anbieter eine stärkere Marktpräsenz in Deutschland und der Schweiz.
Die Chancen in Europa nutzen
Es ist zu erwarten, dass sich die Akzeptanz von Offshoring in Europa weiter verbreitet, da es ganz danach aussieht, dass das Jahr 2013 für die Eurozone das schlimmste seit Beginn der Krise 2008 wird. Daher werden Unternehmen in der gesamten Eurozone gezwungen sein, drastischere Maßnahmen zu ergreifen, um ihr Überleben zu sichern. Die meisten indischen IT-Firmen scheinen sich dieser Tatsache bewusst zu sein und arbeiten an Strategien und Ideen, um dieses neue Potenzial auszuschöpfen, das ihnen Stabilität verspricht, während die US-Konjunktur gerade erst beginnt, wieder in Gang zu kommen.
Von den drei wichtigsten Märkten in Europa – Deutschland, Frankreich und Großbritannien – bieten erstere die besten Wachstumschancen. Großbritannien trägt bereits einen erheblichen Teil zum Gesamtumsatz der meisten indischen IT-Anbieter bei. Die indischen Unternehmen gewinnen dort weiterhin ansehnliche Aufträge sowohl von der öffentlichen Hand als auch vom Privatsektor. Beispielhaft ist der Fünfjahresvertrag mit einem Volumen von 230 Millionen US-Dollar, den TCS mit dem britischen Innenministerium (UK Home Office) abgeschlossen hat. TCS kümmert sich um die technologischen Anforderungen des neu gegründeten Disclosure and Barring Service (DBS). Aber auch andere indische Anbieter berichten von neuen Abschlüssen in diesem Markt.
Fokus auf Frankreich und DACH?
Als Folge der weltweiten Wirtschaftskrise stellten die indischen IT-Anbieter aber zunehmend fest, dass ihr Wachstumspotenzial aufgrund ihrer übermäßigen Abhängigkeit von den zwei Märkten USA und Großbritannien begrenzt ist. Die Wachstumschancen für indische IT-Dienstleister in Großbritannien erscheinen heute angesichts der Marktdurchdringung, der hohen Wettbewerbsintensität und der Marktsättigung eher gering. Hinzu kommt, dass die britische Konjunktur ein weiteres schwieriges Jahr vor sich hat und die von den Konservativen geführte Regierungskoalition sehr häufig davon spricht, britische Arbeitsplätze zu erhalten sowie die Zuwanderung und sogar Arbeitsvisa mit kurzer Laufzeit zu beschränken. Daher könnten die indischen Anbieter zu kämpfen haben, wenn sie den Anteil des britischen Geschäfts am Gesamtumsatz in Zukunft stabil halten wollen.
Seit etwa fünf Jahren beschäftigen sich die indischen IT-Unternehmen ernsthafter mit den Marktchancen in Deutschland und Frankreich, vor allem um sich ein alternatives Standbein zum begrenzten Geschäft in den USA und Großbritannien aufzubauen. Der Anteil Großbritanniens am gesamteuropäischen Umsatz ist seit 2010 rückläufig, während der Anteil Kontinentaleuropas zunimmt.
Auch wenn Großbritannien weiterhin eine wichtige Umsatzquelle für die indischen IT-Anbieter bleibt (über 50 Prozent des gesamteuropäischen Umsatzes), liegt nach Ansicht von PAC künftig das wirkliche Wachstumspotenzial in Deutschland und Frankreich. Während Deutschland sich bereits zu einem nennenswerten Markt entwickelt, in dem mehrere Anbieter 5-6 Prozent ihres Gesamtumsatzes generieren, hinkt Frankreich noch stark hinterher mit einem Anteil von etwa 0,5-0,75 Prozent am Gesamtumsatz. Das heißt, die indischen Akteure können theoretisch ihre Umsätze in Deutschland und Frankreich auf ein Vielfaches des aktuellen Niveaus steigern. "Für diese zwei Länder ist eine bessere Strategie in Verbindung mit entsprechenden Investitionen und den richtigen lokalen Fachkräften erforderlich. Damit können die indischen Anbieter den Markt erschließen. Die Übernahmen, die u.a. Cognizant und Infosys getätigt haben, gehen eindeutig in diese Richtung, da diese Firmen dadurch sofort ein bisschen von allen drei Elementen bekommen, die aktuell in ihren Portfolios fehlen", so Christine Nayagam.
Zu den wichtigsten Branchen, in denen die indischen Anbieter stark sind, zählen die Fertigungsindustrie (Hauptsektor für Wipro und Infosys) sowie Finanzdienstleistungen (HCL). Bezogen auf die Größe des jeweiligen Gesamtmarkts sind alle indischen Akteure auch gut in den Bereichen Telekommunikation und Einzelhandel aufgestellt.
Übernahmen sind auch weiterhin eine gute Möglichkeit für die indischen Unternehmen, in Deutschland und Frankreich zu wachsen, um sich in der Eurozone stärker zu etablieren und Marktanteile zu gewinnen. Die Anbieter setzen bereits entsprechende Schritte um, wenn auch bisher eher langsam. Wir stehen möglicherweise erst am Anfang der Einkaufstour indischer Akteure, und wir werden 2013 sicherlich noch mehr Übernahmen erleben. (PAC: ra)
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