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Cloud Computing: Der Big Switch?


Unternehmenswelt sollte gelassen auf Computerwolken reagieren - Die Simplifizierung des Phänomens Cloud Computing stößt bei Experten auf Widerspruch
Cloud Computing ist nicht neu, und vielleicht eher als Fortführung des Grid-Computing vor zehn Jahren

(19.06.09) - Cloud Computing zählt seit rund zwei Jahren zu den inflationär benutzten Schlagworten der IT-Branche. Die Bedeutung des Modethemas ist profan und alles andere als neu: Es beinhaltet die Möglichkeit, Speicherkapazitäten, Rechenleistung und Software über das Internet zu mieten. Der Nutzer zahlt je nach Funktionsumfang, Nutzungsdauer und Anzahl der Nutzer. Unternehmen können damit ihre IT-Kapazitäten ins Netz verlagern.

Sie sparen Geld bei Investitionen für die IT-Infrastruktur und können flexibler agieren: Für den Vielschreiber und Dauerredner Nicholas Carr reicht das unspektakuläre Szenario aus, um das Zeitalter des "Big Switch" auszurufen. Er prognostiziert, dass große Server-Farmen die heute gängigen PCs ablösen werden, so dass so gut wie keine Information und Rechenleistung mehr offline verfügbar sein werde. Alteingesessene Platzhirsche wie Dell oder Microsoft dürften dadurch in Bedrängnis geraten. Billige Rechenleistung verändere auch die Gesellschaft nachhaltig, wie die billig gewordene Elektrizität vor hundert Jahren. Die Simplifizierung des Phänomens Cloud Computing stößt bei Experten auf Widerspruch.

"Carr braucht die Übertreibung, um seinen Marktwert als Redner zu bewahren. Seine Argumente pendeln allerdings häufig zwischen Big Switch und Bullshit. So war das schon bei seinem ersten medialen Scoop als er den Niedergang der IT-Abteilungen beschworen hat", kritisiert IT-Fachmann Udo Nadolski vom Beratungshaus Harvey Nash. "Cloud Computing ist nicht neu, und vielleicht eher als Fortführung des Gridgedankens vor zehn Jahren zu sehen, nämlich der Nutzung der Netzwerk-Ressourcen, Computing aus der Steckdose oder Application Service Provider (ASP)-Modelle.

Die Realität ist jedoch anders: Die Performance ist durch die Komplexität der Applikationen limitiert", kontert IT-Fachmann Andreas Rebetzky, Sprecher des cioforums. Sie leide immer unter dem schwächsten Glied in der Kette. "Und das wechselt ab und an die Lager: Heute die CPU, morgen das I/O-Verhalten und dann vielleicht die Netzperformance. Wir sollten auf den Boden der Realität zurückkommen und die verfügbaren Technologien wertsteigernd einsetzen – anstatt mit Schlagworten den Nebel zu verdichten", fordert Rebetzky, CIO des Technologiespezialisten Bizerba.

"Die Argumentation von Carr und anderen Cloud Computing-Gurus unterscheidet sich in vielen Details nicht von den Argumenten, die viele Jahre für Großrechner angeführt wurden, nun verbunden mit einer Netzversorgungsphilosophie, die neben unbegrenzten Übertragungskapazitäten auch unbegrenzte Rechenkapazitäten verheißt. Nach dem Ende der Großrechnerära wurde in den 90er Jahren von einigen IT-Herstellern das Network-Computing propagiert, wo die einfachen Terminals zwar durch Lite-PCs ersetzt wurden, aber die Applikationen aus dem Netz kommen. Carr modifiziert diesen erfolglosen Ansatz nur insofern, als dass er den bloßen Applikationsbezug durch den Bezug einer Serviceleistung ersetzt", erläutert Andreas Latzel, Deutschlandchef des ITK-Anbieters Aastra.

Seine Vergleiche mit der Stromversorgung aus Mega-Kraftwerken seien auf das Internet nicht anwendbar. "Im Web gibt es eine gegenläufige Tendenz. Wir erleben eine Dezentralisierung auf professioneller und organisatorischer Ebene", so Latzel. So könne es nicht verwundern, dass in der Unternehmenswelt weniger Aufgeregtheit herrsche als in den Reden von Carr. Nach einer IDC-Studie hat erst ein Viertel der rund 800 befragten Unternehmen in Deutschland über die Nutzung der Datenwolke nachgedacht.

Ein Grund für die geringe Auseinandersetzung mit dem Thema ist die unklare Definition. "Viele Anwender können sich unter dem Begriff überhaupt nichts vorstellen", sagt Matthias Kraus, IDC-Analyst und Verfasser der Studie. Eine allgemein gültige Definition von Cloud Computing gibt es nicht, verschiedene Anbieter legen den Begriff unterschiedlich aus.

Zudem müsse für viele Unternehmen noch die Frage beantwortet werden, für welche Funktionen oder Aufgaben Cloud Computing tatsächlich eine interessante Alternative zu lokal installierten Systemen sein kann. "Nur für Speicherplatz oder Rechenleistung ist Cloud Computing sicherlich kein interessantes Angebot, zumindest nicht für die Versorgung von Unternehmensstandorten", meint Aastra-Deutschlandchef Latzel.

Bei Funktionen für mobile Benutzer sehe das anders aus: "Wer vom PDA, Smartphone oder Sub-Notebook an wechselnden Orten arbeitet, für den machen Hosting-Dienste unter Umständen Sinn", sagt Latzel. Das würde die Speicherung und Verarbeitung von Daten betreffen, aber noch mehr Kommunikationsdienste und Kollaborationstools: Unified Communiciations, Video Conferencing, Präsenzverwaltung und standortübergreifendes Arbeiten an einer Datei oder an einem Projekt – hier bieten sich nach Ansicht von Latzel gehostete Lösungen als mögliche Alternative an.

"Es fehlen bislang Angebote und standardisierte Angebote für die Betriebssysteme der Unternehmen. Und die Anbieter müssen bekannt und vertrauenswürdig sein, sonst werden Firmen sich kaum darauf einlassen, vitale ITK-Aufgaben als virtuelle Dienste von externen Anbietern zu beziehen, zumal auch beim Nutzer installierte moderne Kommunikationssysteme heute den Leistungsumfang bieten, der ohne Komfortverlust mobiles Arbeiten ermöglicht", resümiert Latzel. (NeueNachricht: ra)

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