"ITIL ist bestens für den Mittelstand geeignet"
Kommentar: Die Prozessstrukturen von ITIL orientieren sich am Lebenszyklus eines Services - Dieser Lebenszyklus ist in allen Unternehmen gleich
Dass klassische ITIL-Implementierungen 900 Prozent mehr Aufwand als irgendeine Hausmethode eines Beraters bedeuten, ist Quatsch
(16.07.12) - Unter der Überschrift "Hat ITIL den Mittelstand vergessen?" veröffentlichten wir am 6. Juli dieses Jahres eine Stellungnahme der msg services ag. Nach deren Beratungserfahrung stelle sich das Regelwerk ITIL für den Mittelstand als nicht praxistauglich dar, weil es in seiner Komplexität nur bedingt für die Prozesse in solchen Organisationsverhältnissen anwendbar sei. Hartmut Stilp, Geschäftsführer der Maxpert GmbH, will dies nicht so einfach im Raum stehen lassen und sagt seinerseits in einer Gegenrede auf den oben angesprochenen Kommentar: "ITIL ist bestens für den Mittelstand geeignet".
Kommentar zum Artikel:" Hat ITIL den Mittelstand vergessen?"
Von Hartmut Stilp, Geschäftsführer Maxpert GmbH
"Die Kommentierung dieses Artikels ist dringend geboten. Denn diese Mischung aus plakativen Aussagen und unverständlichen Zusammenhängen ist für Diejenigen wenig hilfreich, die sich fundiert mit ITIL auseinander setzen und sich sinnvolle Informationen erhoffen.
ITIL ist in besonderer Weise geeignet, in allen Größenordnungen einer IT-Organisation genutzt zu werden. Denn ITIL ist ein Rahmen und Gerüst (und kein Regelwerk) von 'good practices' (praxisbewährten Vorschlägen), an die sich IT-Organisationen anlehnen können, um ihre Kunden- und Service-Orientierung zu verbessern. Eine ganz besondere Stärke dieses Rahmenwerks ist die Anpassungsfähigkeit, um die Gegebenheiten und Ziele einer Organisation zu berücksichtigen. Unabhängig davon, wie groß sie ist.
Die Prozessstrukturen von ITIL orientieren sich am Lebenszyklus eines Services. Dieser Lebenszyklus ist in allen Unternehmen gleich (Strategie, Design, Transition in den Betrieb, Operation, kontinuierliche Verbesserung). Von daher gibt es keinen Unterschied zwischen einem DAX-Unternehmen und einem Mittelständler. Der Unterschied bei der Implementierung von IT-Service Management mit dem Werkzeugkasten ITIL besteht in der Größe einer Organisation, der Anzahl der beteiligten Mitarbeiter bzw. Organisationseinheiten, der Reife der bereits vorhanden Abläufe, der globalen oder lokalen Ausrichtung, der Verfügbarkeit von IT-Mitarbeitern und ihrem Know-how, dem Portfolio von angebotenen Services, den finanziellen Mitteln für die Einführung und letztendlich auch von den geschäftlichen Anforderungen an die IT. Diese Faktoren bestimmen ganz wesentlich die Breite und Tiefe einer Prozessimplementierung. Dabei steht in jedem Fall ein Business Case im Vordergrund, also die Antwort auf die Frage: 'Lohnt sich das und wenn ja, in welchem Umfang'?
Mittelständler mit 100 Mitarbeitern in der IT können, branchenabhängig, Unternehmen zwischen 101 und über 20.000 Mitarbeitern sein. Die Umsätze bewegen sich damit in einen Bereich bis zu mehreren Milliarden. Sind die geschäftlichen Abläufe wesentlich von der IT bestimmt, lohnt sich in jedem Fall ein Blick in die ITIL-Bücher und ein Gespräch mit einem guten und erfahrenen Berater, um die Verbesserungspotentiale auszuloten.
Für die Etablierung von Incident-, Problem- und Change-Management, inkl. eines Tools, benötigen wir in einer IT-Organisation mit 100 hochbelasteten IT'lern und 15.000 Mitarbeitern ca. 6 Monate, Branche Handel. Einzige Rahmenbedingung ist eine zentrale IT. In einem global agierenden DAX-Unternehmen mit verteilten Rechenzentren und Service-Desks ist die Dauer des Projektes länger und die Kosten sind um ein vielfaches höher. In beiden Fällen wird man auf ITIL zurück greifen. Denn diese Sprache sprechen weltweit Hunderttausende von IT-Spezialisten, die eigenen Mitarbeiter und Dienstleister, die bei der Serviceerbringung mitwirken: Softwarehäuser, Netzwerkanbieter, Hersteller, Outsourcer, Berater, Auditoren, Wirtschaftsprüfer und Regulierer.
Noch ein paar Ungereimtheiten des Artikels: Eine Rolle beschreibt einen Satz von Aufgaben und Verantwortlichkeiten, die in einem Prozess ausgeübt werden. Sieben Rollen entlang eines Services (Strategie, Design, Transition, Operation) klingt nach zu wenig. Vielleicht liegt diese Einschätzung an der Unklarheit, was ein Prozess bzw. ein Service eigentlich ist. In meiner Funktion als Geschäftsführer nehme ich an vielen Prozessen teil und übe dabei vielfältige Rollen aus. Und viele dieser Prozesse ermöglichen Services. Bei allen Prozessen sind meine Mitarbeiter bei der Maxpert in ihren unterschiedlichen Rollen beteiligt, aber meistens auch unsere Kunden und Lieferanten. Und wir arbeiten kontinuierlich daran, dass sie mit unseren Services zufrieden sind.
Ein IT-Manager mit strategischer Verantwortung und/oder Leitungsfunktion kann sich über den gesamten ITIL-Lebenszyklus ausbilden. Dafür sind 17 Tage zu investieren. Im Ergebnis hat er dann eine der bedeutendsten IT-Service-Ausbildungen. Er ist präpariert, IT-Service Management ohne fremde Hilfe einzuführen und die IT an den Unternehmenserfordernissen auszurichten.
Der Schulungsaufwand für einen erfahrenen Praktiker in einer verantwortungsvollen Betriebsfunktion ist sehr gering. Z.B. dauert die Spezialistenausbildung für das Event Management, Incident Management, Request Fulfillment, Problem Management, Access Management und Service Desk insgesamt vier Tage. Ein Spezialist für Service Asset and Configuration Management, Change Management, Release and Deployment Management, Service Validation and Testing, Evaluation, Knowledge Management und Request Fulfillment benötigt ebenfalls nur vier Tage. Diese kurze Ausbildungszeit spricht für die klare und systematische Struktur dieser ITIL-Bibliothek.
Für die Einführung einer Hausmethode eines Beraters spricht nichts. Zum einen haben IT-Organisationen bereits mehr oder weniger zufriedenstellende Prozesse, die auf einem 'Dutzend Blätter' beschrieben sind, zum anderen erschwert dies die Zusammenarbeit mit allen anderen Mitwirkenden. Weiterhin verschließt man sich den Markt neuer Mitarbeiter, die sich, wenn nach ITIL ausgebildet, schnell in jeder Umgebung zurecht finden und die Sprache verstehen. Und letztendlich macht man sich von einem Berater abhängig, dessen Kompetenz und Erfahrung in keiner Weise überprüfbar ist.
Dass sich Mittelständler in einer eigenen Welt befinden widerspricht jeder Form der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Realität. Gerade DAX-Unternehmen reduzieren die Fertigungstiefe und bauen auf die Mithilfe und Integration von wettbewerbsfähigen Mittelständlern. Wie soll da bitte in einer Welt aus Hausstandards unternehmensübergreifende Zusammenarbeit funktionieren? Babylon 2.0?
Dass klassische ITIL-Implementierungen 900 Prozent mehr Aufwand als irgendeine Hausmethode eines Beraters bedeuten, ist Quatsch. Ein klar strukturierter Incident-Management-Prozess ist mit ITIL beim Mittelständler in vier Wochen implementiert. Herr Schürmann braucht dazu auch vier Wochen. Oder doch nur 10 Prozent, also zwei Tage?
Dem Artikel 'Hat ITIL den Mittelstand vergessen?' fehlt es in allen seinen angesprochenen Bereichen an Substanz. Schade. Thema verfehlt, setzen!"
(Maxpert: ra)
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