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Softwareprojekte immer schwerer beherrschbar


Softwareentwicklung: Steuerungsmethode "Agile" antwortet auf Herausforderungen durch Niedriglohnländer wie China und Indien
"Agile" langfristig das gesamte Thema Outsourcing verändern und dazu führen, dass Unternehmen wesentlich gezielter outsourcen


(07.09.10) - Die Entwicklung von Software wird immer komplexer und zeitintensiver: Gründe genug, zu deren Durchführung auf bewährte Projektmanagementmethoden z.B. aus der Raumfahrt oder dem Bau komplexer Bauwerke zurückzugreifen, wo das Engineering streng sequentiell abläuft.

Zuerst wird sehr genau geplant, dann erst folgt die Umsetzung in sauber aufeinander aufbauenden Phasen, wobei das Verfahren durch Meilensteine abgesichert ist sowie von Dokumenten, die Fortschritt und Qualität steuern, getrieben wird. Das so genannte kaskadierende Modell ("Wasserfall") war daher lange Zeit Standard für professionelle Software-Projekte. Es versprach vor allem eines: Die Sicherheit, den geplanten Termin des Projektabschlusses einhalten zu können. Ein besonders eindrucksvoller Beleg dafür war das Kunststück der NASA, innerhalb des engen gesetzten Zeitplans den ersten Mann auf den Mond zu schicken.

Doch seitdem haben sich die Anforderungen an die Softwareentwicklung stark gewandelt. Mit stetig steigernder Komplexität gelingt es nur selten, sie im geplanten Kosten- und Zeitrahmen abzuschließen. Schlimmer noch wiegt, dass die Software, wenn sie dann endlich zur Verfügung steht, den tatsächlichen Anwenderbedarf oft nur ungenügend trifft. Dies hängt auch mit den sich immer schneller verändernden Rahmenbedingungen und Anforderungen zusammen, die Entwicklungszeiten von zwölf Monaten und mehr kaum noch erlauben.

Hier zeigen sich die Nachteile des starren Wasserfallmodells mit seiner streng sequentiellen Folge aus Analyse, Design, Implementierung und Test. Heute kann dieses Modell die sich ständig wandelnde Realität nicht ausreichend abbilden und noch viel weniger schnell darauf reagieren.

Unter dem Stichwort "Agile" formieren sich seit geraumer Zeit neue Vorgehensweisen, um diese Unzulänglichkeiten auszugleichen und Software in Zukunft deutlich schneller und zielgerichteter zu entwickeln. Die eingesetzten agilen Bausteine setzen hierfür genau an den Hauptproblemen von Software Projekten in der Praxis an:

• Die Entwicklung in kurzen Iterationen erlaubt, schnell auf sich ständig ändernde Anforderungen zu reagieren
• Über Continuous Integration wird sichergestellt, dass bereits in frühen Projektphasen ein funktionierendes System vorhanden ist, von dem selbst bei Projektabbruch viele Teile weiterverwendet werden können
• Die verpflichtende Fokussierung auf den Geschäftswert verhindert, dass Softwareelemente entwickelt werden, die später nicht benötigt werden
• Ebenso werden Bausteine mit hohem technischen Risiko früh implementiert, um dem Phänomen der 90%-done-Software entgegenzuwirken
• Interdisziplinäre Teams fördern den Wissensaustausch, sichern die Verfügbarkeit wichtiger Know-how Träger und brechen Silos im Unternehmen auf
• Die Generalistenrolle in den agilen Teams (breites Fähigkeiten-Portfolio) hilft, Ausfälle von Teammitgliedern zu kompensieren
• Die starke Einbindung des (End-)Kunden in den Prozess trägt dem Problem Rechnung, dass viele Kunden nicht genau wissen, was sie wollen und es auch nicht ausreichend dokumentieren können
• Unergonomische Systeme gehören dank vieler Live Demos der Vergangenheit an

Über Agile-Methoden kann die Realität in Softwareprojekten wesentlich besser abgebildet und gesteuert werden als in der Vergangenheit. Dies bestätigt auch ein Blick in die Praxis. So entwickelte beispielsweise Microsoft mit Windows 7 unter Verwendung agiler Methoden ein schlankes und stabiles System - ganz im Gegensatz zum Vorgänger Vista; auch Erzrivale Google setzt mittlerweile auf agile Entwicklung.

Speerspitze: Telcobranche
Konsequenterweise ist das agile Modell vor allem in Unternehmen verbreitet, in der die "Time-to-market" eine kritische Rolle spielt. Vorreiter ist derzeit die Telekommunikation. Unternehmen wie o2 und Ericsson haben bereits in umfangreicher Weise auf agile Methoden umgestellt. Auch im Segment klassischer Konsumgüter wie Autos und Elektrogeräte oder im Anlagenbau wird Software immer bedeutsamer. Da die Hersteller hier ebenfalls mit Komplexitätsproblemen kämpfen und sich die Time-to-market zunehmend reduziert, ist auch hier mit der weiteren Verbreitung von Agile zu rechnen.

"Bisher ist nur eine Minderheit der Unternehmen auf Agile umgestiegen, denn die meisten sind noch skeptisch. Das wird sich in den nächsten Jahren aber schnell ändern, wenn die Produktivitätssteigerung in der Telco-Branche sichtbar wird", schätzt Dr. Fabian Dömer, Geschäftsführer von Arthur D. Little und IT-Experte, die Marktentwicklung ein.

Auch jenseits der IT bieten agile Methoden interessante Ansätze für Projektmanagement und Lösung komplexer Probleme. So kommt es zunehmend in Mode, Agilität auch zum Grundprinzip der Unternehmensstrategie zu erheben, um zu zeigen, dass man schneller und flexibler als die Konkurrenz ist.

Wie jede Methodik birgt auch Agile gewisse Herausforderungen, die es zu meistern gilt:
• Die agile Entwicklung ist nicht in jedem Fall besser als die klassische Methode. Vielmehr gilt es zu überlegen, wann die agile Herangehensweise zu favorisieren ist – und inwieweit. Die Kunst besteht darin, ein Modell aufzubauen, welches darstellt, wann Agile mit welcher Dimension und Ausprägung nutzbar ist. In diesem Kontinuum müssen die richtigen Cluster und Methoden gefunden werden.
• Zudem ist die Organisation für den Einsatz agiler Vorgehensweisen neu auszurichten. Dies sollte sich nicht auf die IT/Entwicklungsabteilung beschränken, sondern auch die umliegenden Geschäftsbereiche mit einschließen, um zu verhindern, dass gehobene Potentiale an den Schnittstellen wieder verloren gehen.
• Auch kulturelle Unterschiede zwischen einzelnen Ländern stellen den Einsatz von Agile vor Herausforderungen: Beispielsweise ist in China auf Grund der Mentalität das eigenverantwortliche Handeln weniger stark ausgeprägt als in Europa. Und in Indien müssen Wege gefunden werden, Einzelleistungen stärker zu würdigen, als dies laut Lehrbuch empfohlen wird, um Leistungsträger nicht zu verlieren. In diesem Zusammenhang sind komplett neue Karrierewege zu definieren.

Fabian Dömer sagt: "Spätestens 2012 wird das Thema Agile bei allen innovativen Unternehmen auf der Agenda stehen."

Unternehmen in Europa und Nordamerika macht die wachsende Konkurrenz aus China und Indien schwer zu schaffen. Chinesen und Inder bieten Programmierleistungen auf einem deutlich niedrigeren Preisniveau an. Skill-basierte Nachteile werden durch schiere Masse und ein enormes Arbeitspensum pro Mitarbeiter jenseits der 60 Wochenstunden-Grenze ausgeglichen. Dieser Entwicklung werden die angestammten Märkte nicht in gleicher Weise Paroli bieten können. Aber wer diese geänderten Rahmenbedingungen ignoriert läuft Gefahr, vom Markt verdrängt zu werden.

Daher müssen Unternehmen aus etablierten Märkten Wege finden, anders zu sein, anders mit den Kunden zu sprechen und sie auf diese Weise an sich binden. Agile bietet genau diese Möglichkeit. Und nachdem das volle Potential eines Unternehmens nur im On-Site Modus gehoben wird, kann das Modell auch nicht beliebig ins Ausland verlagert werden. Insofern wird Agile langfristig das gesamte Thema Outsourcing verändern und dazu führen, dass Unternehmen wesentlich gezielter outsourcen. Die Bewertung der "Agile-Eignung" wird bei diesen Entscheidungen eine große Bedeutung spielen. (Arthur D. Little: ra)

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